Red Flag Sicherheitspaket

Die Abstimmung über das Sicherheitspaket am Freitag hat mich persönlich schwer enttäuscht – nur drei grüne Abgeordnete haben dem Druck standgehalten und dagegen gestimmt. Dabei ist es nicht so, dass nicht auch viele andere Abgeordnete ernsthafte Zweifel gehabt hätten. Aber am Ende stellten sie den Fortbestand der Koalition über die Werte, für die die Grünen stehen sollten1.

So begründete zum Beispiel Maik Außendorf sein Abstimmungsverhalten explizit damit, dass “am Ende der Fortbestand der Koalition an der Frage einer Mehrheit für dieses Gesetz hing”:

Wäre die Ampel eine stabile, gesunde Beziehung, könnte ich diese Position sogar nachvollziehen. Ich hätte in dieser Situation vermutlich trotzdem gegen das Gesetzespaket gestimmt, aber es ist auch ein Grundprinzip der Demokratie, dass man manchmal Kompromisse eingehen muss, die einem nicht schmecken. Man kann natürlich abwägen, was schwerer wiegt: die Überzeugung, die man (temporär) aufgibt, oder das, was man dafür bekommt.

Aber die Ampel ist keine stabile, gesunde Beziehung, sondern gleicht immer mehr einer Missbrauchsbeziehung, aus der sich die Grünen nicht befreien können.

Scholz kündigt einseitig den Koalitionsvertrag und erwartet wie selbstverständlich, dass seine Koalitionspartner das akzeptieren. Sein Angebot dafür, dass die Grünen seinen Machterhalt sichern, ist er selbst – ein weiteres Jahr Scholz als Kanzler. Undankbar, wer nicht erkennt, wie großzügig das von ihm ist. Er greift damit auf ein fast schon klischeehaftes Manipulationsmittel zurück, um jemanden in einer Beziehung festzuhalten: “Wie willst du denn ohne mich klarkommen?”

Die Alternative zu Scholz, die im Wesentlichen aus Merz besteht, ist natürlich alles andere als verlockend. Aber kann es überhaupt noch eine produktive Zusammenarbeit geben, wenn der einzige Grund dafür die Angst vor der Alternative ist und die Bedingung die Selbstaufgabe? Dazu kommt, dass Scholz sein Versprechen, zumindest nicht Merz zu sein, gar nicht halten kann: In einem Jahr ist Bundestagswahl, mit oder ohne Sicherheitspaket, und dann braucht es mehr, als die Ampel in der jetzigen Konstellation bieten kann, um so weiterzumachen.

Ein Zweckbündnis kann nur dann bestehen, wenn es ein gemeinsames Ziel hat, dem es sich verschrieben hat. Klimaschutz, die Sicherung des Friedens in Europa und die Bewahrung unserer freiheitlichen Grundordnung könnten solche Ziele sein. Das sind universelle Ziele, die einen einfachen Konsens als Grundlage für eine Koalition bilden könnten. In der Praxis der Ampel sind diese universellen Ziele jedoch zur Verhandlungsmasse und zum Druckmittel verkommen. Und die Grünen werfen in sichtbarer Verzweiflung ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um wenigstens Teile dieses Grundkonsenses zu sichern. Nur bleibt dann nichts mehr für die Durchsetzung der eigenen Ziele übrig.

Natürlich hat die Ampel auch Erfolge vorzuweisen, auf die die Grünen im Bundestag zu Recht stolz sein können. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt voran, wir sind nicht mehr abhängig von russischem Gas und auch das Selbstbestimmungsgesetz ist ein großer Fortschritt. Aber diese Entwicklungen waren entweder alternativlos oder stehen auch im Programm der SPD. Aber wenn zwei Partner sowieso das Gleiche wollen, ist es unlauter, für seine Zustimmung eine Gegenleistung zu verlangen.

In den letzten 26 Jahren war die SPD 22 Jahre an der Regierung beteiligt. 22 Jahre, in denen zum Beispiel immer wieder versucht wurde, die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland durchzusetzen. Ein Vorhaben, das immer wieder vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde und bis heute von Innenministerin Faeser verfolgt wird – trotz einer Einigung auf das Quick-Freeze-Verfahren. In der Öffentlichkeit hat die SPD dennoch nicht den Ruf einer innenpolitischen Hardliner-Partei. Der ist bei der Union hängen geblieben. Und auch bei anderen Themen sind es die Koalitionspartner der SPD, die den Imageschaden tragen: Die Blockadehaltung der FDP bei Themen wie Tempolimit, Verbrennerausstieg oder Ausgleichszöllen gegenüber China ist kein reines FDP-Problem. Diese Positionen finden auch bei Scholz Anklang, der den schwarzen Peter gerne dem Koalitionspartner zuschiebt2.

Keines dieser Probleme wird sich von selbst lösen, aber auch wenn die Ampel keine große Liebesgeschichte wird, ist sie nicht zwangsläufig verloren. Ob es noch eine Chance für eine funktionierende Arbeitsbeziehung gibt, wird sich allerdings erst zeigen, wenn Scholz selbst sich zwischen dem Fortbestand der Ampel und seinen Machtspielen entscheiden muss.

Mein Appell

Realpolitik ist nicht Regierungsbeteiligung, sondern Politik, die einen Unterschied macht. Und wenn wir mit Regierungsbeteiligung keinen Unterschied mehr machen können, dann ist Realpolitik den Blick nach vorne zu richten. Mit Glaubwürdigkeit und Integrität können wir auch in Zukunft einen Unterschied machen. Wir können die anderen Parteien nicht gegen ihren Willen vor ihren Fehlern bewahren, aber wir können zeigen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die aufrechte Politik schätzen.

Wenn die SPD sich nicht an den Koalitionsvertrag gebunden fühlt und dafür sogar bereit ist, die Koalition aufzukündigen, dann ist es nicht die Verantwortung der Koalitionspartner, sich erpressen zu lassen. Der Schaden für die Demokratie, der durch ein Einknicken entsteht, überwiegt bei weitem alles, was in der verbleibenden Legislaturperiode noch erreicht werden kann. Probleme zu erkennen, die weiter weg sind als die nächste Wahl, und angesichts großer Herausforderungen nicht in Angst zu erstarren, sind Grüne Kernkompetenzen. Lasst uns das wieder in den Vordergrund stellen.


  1. Das Sicherheitspaket steht auch im direkten Widerspruch zum Koalitionsvertrag:

    Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.

     ↩︎
  2. Das ist aber auch eine Rolle, die FDP auch gerne annimmt. Die Strategie der FDP erschließt sich mir bis heute nicht vollständig. ↩︎

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