In einer globalisierten Welt ist niemand wirklich unabhängig – zahlreiche Lieferketten und strecken sich rund um den Globus und verknüpfen uns unsichtbar mit dem rest der Welt. Wirklich bewusst wird uns das oft erst in Krisenzeiten, wenn eine dieser Verbindungen gestört wird oder als poltisches Druckmittel missbraucht wird. Anschaulich wurde uns das Problem mit unserer Abhängigkeit von russischem Gas zu Beginn der russischen Invasion vor Augen geführt.
Das Problem existiert aber nicht nur bei Rohstoffen und Chips für deutsche Autoindustrie, sondern auch im Digitalen Raum. Seit Jahren investieren Deutschland und die EU in die digitale Souveränität – mit mehr oder weniger Erfolg. Doch während die EU mit dem Digital Services Act die großen Diensteanbieter in die Pflicht nimmt, tun sich die meisten Politiker schwer, selbst Konsequenzen aus der Erkenntnis zu ziehen.
Politiker1 und Parteien sind von ihrer Sichtbarkeit abhängig. Nur wenn sie von Journalisten oder ihren potentiellen Wählern wahrgenommen werden, haben sie eine Plattform auf der sie Wahlkampf für sich und ihre Ideen machen können. Und daher kommt kaum ein Politiker ohne Facebook oder Instagram aus. Viele haben keine nennenswerte Online-Präsenz außer auf einer der großen US-Plattformen.
Diese Abhängigkeit ist gerade vor der Bundestagswahl riskant.
Elon Musk hat bereits im US-Wahlkampf bewiesen, dass er bereit ist, seine seine Position als CEO von Twitter† zu missbrauchen, um politisch Partei zu ergreifen. Das bedeutet, dass Twitter† keine neutrale Plattform mehr ist, auf der jeder eine Chance hat, gehört zu werden. Twitter† ist nicht einmal mehr eine unzulängliche Social-Media-Plattform, auf der sachliche oder gemäßigte Meinungen gegenüber populistischen oder allgemein extremen Ansichten im Wettbewerb um Likes das Nachsehen haben.
Auf Twitter† entscheidet eine Person, welche Meinungen gesehen werden und welche nicht, und er hat Deutschland und insbesondere Habeck bereits ins Visier genommen.
Aber auch auf den Meta-Plattformen Facebook, Instagram und Threads haben es politische Botschaften schwer, während Hass und Hetze nur schlecht unter Kontrolle sind. Ob das von der EU-Kommission eingeleitete Verfahren gegen Meta daran bis zur Bundestagswahl grundlegend etwas ändern kann, ist mehr als zweifelhaft.
Zusätzlich hängt die bevorstehende Präsidentschaft Trumps wie ein Damoklesschwert über den amerikanischen Plattformen. Auch Trump hat bereits bewiesen, dass er bereit ist, seine Macht zu missbrauchen, und mit Musk an seiner Seite ist ein Szenario, in dem er Meta und BlueSky auffordert, ebenso wie Twitter† aktiv Partei zu ergreifen, nicht einfach vom Tisch zu wischen.
Dabei gibt es eine Lösung: Mastodon
Mit Mastodon2 gibt es eine europäische (bzw. dezentral unabhängige) Plattform, die auch bereits von Behörden und der Europäischen Kommission gut angenommen wurde. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke betreiben eigene Instanzen und auch die Freien Wähler sind vertreten.
Trotzdem ist es noch eher die Ausnahme, dass Politiker auf der Plattform aktiv sind, und wenn, dann sind es meist Digitalpolitiker (nicht, dass das schlecht wäre). Die Gründe, nicht auf Mastodon präsent zu sein, sind oft dieselben: Man müsse die Menschen dort erreichen, wo sie sind; eine weitere Plattform zu bespielen, sei zu aufwendig und es sei sowieso niemand da; oder man habe es ja versucht, aber Mastodon habe nicht wirklich funktioniert.
Dabei lassen sich die meisten der Punkte entkräften, bzw. gelten nur wenn man gleichzeitig alle anderen Plattformen aufgibt. Dabei geht es gar nicht darum exklusiv auf Mastodon aktiv zu sein, sondern darum frühzeitig (oder zumindest rechtzeitig) eine Alternative zu etablieren, die nicht vom Wohlwollen eines US-Konzerns abhängt. Es geht um Resilienz.
Ein erfolgreicher Mastodon-Account erfordert eine gewisse Lernkurve, aber muss nicht unbedingt mit großem Mehraufwand verbunden sein. Für Politiker, die schon jetzt Accounts auf mehreren Plattformen zusammen mit einem Team an Mitarbeitern bespielen, bieten sich sowieso Social Media Management Lösungen an. Mittlerweile gibt es bereits mehrere Lösungen, die auch Mastodon unterstützen3. Die größte Herausforderung könnte das erhöhte Engagement sein, denn auf Mastodon ist erfahrungsgemäß die Erwartung, mit dem Autor eines Posts eine inhaltliche Diskussion führen zu können, größer als auf anderen Plattformen. Aber das sollte eigentlich nichts Negatives sein, denn dafür ist Social Media ja da, oder?
Gerade für eher linke Politiker kann Mastodon eine Chance sein, ihre Reichweite zu erhöhen, da die Mastodon-Community selbst eher links, aufgeschlossen und politisch interessiert ist. Außerdem erreicht man genau die Nutzer, die andere Plattformen hinter sich gelassen haben und nur so zu erreichen sind.
Ein wunder Punkt, bei dem Mastodon noch nicht mit Twitter† mithalten kann, sind die Journalisten. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Post auf Mastodon in den Nachrichten zitiert zu werden, ist immer noch gering. Das liegt aber daran, dass sich Politiker und Journalisten auf Twitter† gegenseitig als Geiseln halten: keiner kann die Plattform ohne den anderen verlassen. Das ist eine Situation, die nur von den Politikern aufgelöst werden kann. Sie müssen voranschreiten, die Journalisten können nur folgen.
Damit Likes nicht das neue russische Gas werden, sollten wir jetzt diversifizieren.
Da ich weiß, dass es einschüchternd sein kann, etwas Neues auszuprobieren, habe ich bereits Anfang des Jahres allen Abgeordneten, die Mastodon trotzdem eine Chance geben wollen, angeboten, ihnen unter die Arme zu greifen und ihren Account für einen Monat zu boosten. Dieses Angebot gilt nach wie vor für alle Bundestagsabgeordneten (fast) aller Parteien.
Darüber hinaus möchte ich allen Bundestagskandidaten der Grünen eine Wette vorschlagen: Ihr werdet bis zur Bundestagswahl auf Mastodon aktiv sein und wenn ihr bis dahin auf Mastodon mehr Interaktionen habt als auf eurem bisherigen Hauptaccount, dann bleibt ihr.
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Ich beziehe mich hier vor allem auf Landes-, Bundes- und Europapolitik. Für Kommunalpolitiker gilt der Artikel nur eingeschränkt. ↩︎
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Wenn du jetzt einwerfen willst “Es gibt nicht nur Mastodon! Das Fediverse besteht aus vielen verschiedenen Lösungen”, dann hast du recht, bist aber vermutlich auch nicht die Zielgruppe dieses Artikels. ↩︎
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Social Media Management Tools, die Mastodon unterstützen, sind z.B. https://swat.io, https://socialbu.com, https://socialhub.io, https://buffer.com oder https://mixpost.app ↩︎